Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak»

Am 13. Februar 2022 wird sich das ­Schweizer Stimmvolk dazu äussern ­können, ob es der Tabakprävention eine stärkere Bedeutung geben will, als dies das Parlament beschlossen hat. Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass sich die Bevölkerung durchaus ein totales Werbeverbot für Tabakartikel vorstellen könnte. So weit geht die Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» allerdings nicht, sie möchte ­lediglich, dass Kinder und Jugendliche vor Werbung mit Tabakprodukten geschützt werden.

Tabak, Gesetz und die Schweiz: schwierige Lage
In der Schweiz war der Umgang mit ­Tabak bis vor Kurzem in der Lebens­mittelgesetzgebung geregelt. Dieser Anachronismus musste aus der Welt ­geschaffen werden, da war «man» sich einig. Der Bundesrat hat dazu vor Jahren schon erste Schritte unternommen. Bereits 2004 hat die Schweiz die «Framework Convention on Tobacco Control» (FCTC) unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert. Die WHO hat die Schweiz schon mehrfach gerügt, dass sie als eines der letzten Länder der Welt (!) zu wenig unternimmt, um ihre Bevölkerung vor Tabak zu schützen. In einer Analyse 2018 kommt die WHO zum Schluss, dass der Willen der Schweiz, etwas zu ändern, wahrscheinlich aufgrund der mächtigen Tabaklobby stark beeinträchtigt sei. Nach einem abgewürgten ersten Versuch im Jahr 2016, ein Tabakgesetz zu erlassen, wurde 2019 mit der Arbeit an einem ­«Tabakproduktegesetz» ein neuer Anlauf genommen. Um diesen Prozess von ­Seiten der Gesundheits- und Jugendverbände zu fördern, wurde beschlossen, eine Volksinitiative zu starten.

Wir bauen eine Initiative
In den Gesetzgebungsprozess kann die Bevölkerung in der Schweiz nicht direkt Einfluss nehmen, indirekt aber sehr wohl über eine Verfassungsinitiative. Deshalb hat Ständerat Hans Stöckli (mit seinem grossen Netzwerk prädestiniert dafür) Ärzteschaft, Apotheker, Drogisten und verschiedene Ligenvertreterinnen und -vertreter zu ersten Gesprächen einge­laden. Rasch war man sich einig, dass der Fokus auf dem Schutz der Jugend liegen muss, wenn man langfristig die Bevölkerung unterstützen will. Der nächste Schritt war die Erarbeitung des Initiativtextes: Die Kunst besteht darin, das Begehren gut zu formulieren und inhaltlich mit erreichbarem Ziel aufzugleisen. Dank der fachlich-juristischen Unterstützung von Professor Thomas Gächter konnten die Ergänzungen in der Verfassung formuliert werden: in Art. 41 Abs. 1 Bst. g wird festgehalten, dass die Jugend (neben der sozialen und politischen Entwicklung) auch in ihrer Gesundheit gefördert werden muss. In Art. 118 Abs. 2 Bst. b ist formuliert, dass Werbung für Tabakprodukte dort verboten sein soll, wo sie Kinder und Jugendliche erreicht. Das Geniale an der Initiative ist die Verknüpfung von Gesundheitsförderung und Werbeeinschränkung.

Wir sammeln Unterschriften
Das Sammeln der Unterschriften entpuppte sich schwieriger, als wir das (mit der Erfahrung der Hausarztinitiative, bei der wir innert kürzester Zeit mehr als das Doppelte der erforderlichen 100’000 Unterschriften sammelten) erwartet hatten. Etwas vollmundig hatte dazu pharmasuisse verkündet, die Unterschriften fast im Alleingang zu sammeln. Mit dem Support aller Verbände, Ligen und Interessensgruppen hatten wir das Gefühl, rasch und problemlos die Unterschriften zusammenzutragen. Das war nicht der Fall, wir wurden auf den Boden der Realität zurückgeholt. Zwei Punkte waren wahrscheinlich entscheidend: Wir konnten unsere Basis (wie die Apotheker übrigens auch) nicht genügend überzeugen, wie wichtig ihre Teilnahme an der Unterschriftensammlung war. Der zweite Punkt hat uns schon einen Vorgeschmack auf den Abstimmungskampf zum Verhalten unserer «Gegner» ge­geben: Während der Unterschriftensammlung haben die Tabakunternehmen ihre Werbung massiv reduziert, was dazu führte, dass viele Stimmbürger der Meinung waren, die Werbung sei schon eingeschränkt, die Initiative brauche es gar nicht. Entsprechend mussten die ­Anstrengungen intensiviert werden – ­inklusive Wechsel der organisierenden Agentur. Für mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz war klar, dass diese Initiative unbedingt eingereicht werden muss, dass wir dies unseren Kindern und Jugend­lichen schuldig sind, und haben mit der Geschäftsstelle polsan das Ganze in die Hände genommen. Und die Initiative eingereicht!

Debatten und Debatten
Die Diskussion des Tabakproduktegesetzes wurde in der Gesundheitskommission des Ständerats begonnen, und der Einfluss der Initiative schlug durch: Die erste Version des Gesetzes beinhaltete wirklich markante Einschränkungen. ­Offensichtlich hatte die Tabakindustrie nicht damit gerechnet und musste ihre ganze Lobbytätigkeit intensivieren, um Gegensteuer zu geben. Leider mit Erfolg: In der nationalrätlichen Kommission sah das schon anders aus, in den Räten ­wurden weitere Verwässerungen ein­gebracht und teilweise eingebaut. Am Ende ist ein Tabakproduktegesetz ver­abschiedet worden, das eher den Titel «Tabakförderungsgesetz» verdient hätte. So musste das Initiativkomitee nicht lange über­legen: Ein Rückzug kam unter keinen Umständen in Frage, das Volk muss entscheiden.

Worin besteht der Unterschied zwischen TabPG und Initiative?
Am eindrücklichsten zeigt die folgende Grafik, wo die Unterschiede vom verabschiedeten Tabakproduktegesetz zur Initiative liegen. Zusätzlich ist festzuhalten, dass die erwähnte FCTC mit dem vorliegenden Gesetz nicht ratifiziert werden kann. 168 Staaten haben das Abkommen ratifiziert, in Europa ist die FCTC in allen Ländern in Kraft – mit Ausnahme der Schweiz!

Was kommt im Abstimmungskampf auf uns zu?
Die Unterstützer der Initiative kommen aus dem Gesundheitsbereich, aus der Suchtprävention, aus dem Jugend­bereich. Daneben sind aber auch swiss olympic und der Lehrerverband auf unserer Seite. Von den politischen Parteien unterstützen uns SP, Grüne, GLP, EVP, EDU, Junge Grüne. Die Krebsliga und die kantonalen Lungenligen, jetzt auch Lunge Schweiz, haben seit Beginn Gelder gesprochen und stellen qualifizierte personelle Ressourcen zur Verfügung. Auch die Ärzteschaft hat viel Geld in diesen Abstimmungskampf eingebracht: FMH, mfe, KHM, pädiatrie schweiz, Fachverbände für Pneumologie und Kardiologie haben über 400’000 Franken gesprochen, ein grosser Effort. Für die Gegner der Initiative sind das unbedeutende Summen: Wir rechnen damit, dass sie um 5 bis 6 Millionen Franken zur Ver­fügung haben. Und: Es wird nicht nur
die Tabakindustrie gegen unser An­liegen kämpfen, auch die Medien, die Werbewirtschaft, die Wirtschaft mit ­economiesuisse. Eine geballte Ladung an Erfahrung in Lobbyieren und Abstimmungskämpfen, gepaart mit noch mehr finanziellen Mitteln. Das wird hart!

Wie gewinnen wir?
Wir gewinnen, weil wir inhaltlich überzeugen und weil wir die besseren Argumente haben! Der Schutz der Kinder und Jugendlichen ist unser prioritäres Ziel, dazu kommt die Gesundheit unserer ­Bevölkerung. Wir lassen uns auf keine Diskussionen über Verbote ein, sondern konzentrieren uns klar auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Nikotin in jeder Form. Was diese Abhängigkeit bedeutet, erleben wir tagtäglich in unseren Praxen. Deshalb: Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak!

Weitere Infos zur Initiative: www.kinderohnetabak.ch

Dr. med. Philippe Luchsinger

Präsident Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe)