«Brauchbar» ist bei begrenzten Ressourcen besser als «perfekt»
Wer waren die besonders gefährdeten Personen in der Pandemie? Zuerst war gar nichts klar, dann zeigte sich, dass die Krankheit vor allem die ältere und vorerkrankte Bevölkerung bedroht. «Ich habe Angst, dass meine Angehörigen an dem Virus erkranken und ich sie dadurch verliere.» Diese Aussage stammt aus einem Buch, in dem Reaktionen von Kindern zu Corona an deutschen Schulen zusammengefasst wurden. Zweifellos hatten auch Kinder in der Schweiz solche Gedanken. Die Kinder und Jugendlichen haben mich beeindruckt: Obwohl sie nicht besonders gefährdet waren, waren sie solidarisch. Die Pandemie und ihre Auswirkungen haben ihr Leben während zweier Jahre – und das ist eine sehr lange Zeitspanne für ein Kind – ein Stück weit geprägt. Zentral für den Regierungsrat war stets, dass trotz der hohen Zahlen der Präsenzunterricht in den Schulen bis auf wenige Wochen während der ersten Welle, als die Datenlage noch sehr unsicher war, aufrechterhalten werden konnte.
Um die intensivmedizinischen Kapazitäten zur Bewältigung der zweiten Welle in den beiden Basel bestmöglich zu nutzen, haben die Gesundheitsdirektoren der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft bereits 2020 mit den drei Spitälern, die Intensivstationen betreiben, eine Vereinbarung abgeschlossen. Die Kooperationsvereinbarung sieht eine proportionale (das heisst in Abhängigkeit von den betriebenen IPS-Betten) Verteilung der COVID-IPS-Patienten auf das Universitätsspital Basel, das Kantonsspital Baselland und das St. Claraspital vor. Der Patientenwohnort spielt dabei keine Rolle. Auf der IPS des Kantonsspitals Baselland wurden auch COVID-IPS-Patienten aus Basel-Stadt behandelt und umgekehrt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik grundsätzlich und vor allem in so einer Situation so viel wie nötig und doch so wenig wie möglich eingreifen muss. Eine sehr hohe Belastung des Gesundheitssystems und insbesondere der Intensivstationen war und ist in der Pandemie das grösste Problem. Welche einschränkenden Massnahmen gegenüber der Bevölkerung tragbar sind und welche nicht, da gehen die Meinungen auseinander. Als politisch Verantwortliche müssen wir stets auf der Grundlage der Informationen entscheiden, die zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegen, auch wenn sie unvollständig sind, was in Krisensituationen praktisch immer der Fall ist. Klar ist und bleibt: Wir dürfen keinen Kollaps des Gesundheitssystems in Kauf nehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine enge Zusammenarbeit erforderlich. Erwähnen möchte ich hier besonders die erfolgreiche und äusserst wertvolle Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft Baselland. Gemeinsam haben wir eine Abklärungs- und Teststation betrieben. Auch bei den Impfangeboten haben die Ärztinnen und Ärzte wie auch die Apotheken tatkräftig mitgeholfen.

Die Pandemie mit ihren Auswirkungen weit über den reinen Gesundheitsbereich hinaus hat uns und unser Umfeld gelegentlich die Grenzen aufgezeigt. Wie viel wurde während dieser Zeit über Freiheit und Einschränkungen diskutiert und wie oft wurden dabei auch überzogene Anspruchshaltungen auf beiden Seiten sichtbar! Wir sind nicht mehr gewohnt, mit Gefahren und Bedrohungen umzugehen, welche die ganze Gesellschaft betreffen. Wir hatten uns lange Zeit – in diesem Ausmass seit dem Zweiten Weltkrieg – nicht mehr wirklich einschränken müssen. Alles war jederzeit verfügbar, alles möglich, alle Standards und Ansprüche kannten stets nur eine Richtung: nach oben. Immer mehr, immer schneller, immer teurer. Die Pandemiesituation hat uns gezwungen, vieles davon zu hinterfragen und auch wieder zu erkennen, dass «brauchbar» bei begrenzten Ressourcen besser ist als «perfekt».
In den vergangenen beiden Jahren wurde uns der Wert des sozialen Zusammenhalts wieder bewusst, oft schmerzlich. Wenn die zwischenmenschlichen Kontakte weniger werden und das Beisammensein stark eingeschränkt ist, dann ist umso wichtiger, dass wir uns füreinander interessieren, füreinander da sind. Das kann eine der sozialen Lehren sein aus der Pandemie. Und nun? Ist Covid-19 wirklich vorbei?
Das Perfide ist, dass wir uns darauf nicht verlassen können. Wir müssen uns auch in den kommenden Monaten und Jahren auf weitere Wellen oder gar neue Pandemien einstellen, Damit – wie auch mit allen anderen Risiken und Chancen, die unser Leben und Zusammenleben beinhaltet – werden wir alle leben lernen müssen.
Thomas Weber

Thomas Weber
Regierungspräsident und Vorsteher der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft