Schlagwörter: «Feminisierung»

Man denkt, Schlagwörter seien einfach praktische Zusammenfassungen von ­etwas, was sonst umständlich zu beschreiben wäre. Und da Energiesparen ein Gebot der Stunde ist, leisten wir durch das Gebrauchen von Schlagwörtern einen bescheidenen Beitrag dazu: Warum mehr Worte machen, wenn es auch mit weniger geht?
Wenn wir in der Redaktionssitzung einen Titel für die Synapse suchen, sollte dieser möglichst kurz sein. Wir einigten uns diesmal auf «Feminisierung in der Medizin». Das schien uns das Thema gut abzubilden: warum es zunehmend mehr Ärztinnen gibt und was das bedeuten könnte. Uns schien der Titel ganz neutral, ohne Wertung, niemand von uns dachte irgend etwas Böses dabei.
Ohne es zu beabsichtigen, haben wir ein Schlagwort gewählt. Das wurde mir erst bewusst, als ich die Suchbegriffe «Feminisierung» und «Medizin» im Internet eingab. Ich erhielt im Wesentlichen zwei Sorten von Beiträgen angeboten: Einerseits Artikel darüber, wie ein Mann vorgehen müsste, der sich zur Frau um­wandeln lassen will, was eindeutig nicht das Thema dieser Synapse ist, und andererseits Artikel über den immer höheren Frauenanteil im Arztberuf, also exakt das Thema dieser Synapse. – Oder doch nicht?
Beim Lesen der Beiträge zu unserem ­Themenkreis wurde mir einmal mehr deutlich, dass Schlagwörter eben nicht treffende Kurzfassungen komplexer Sachverhalte sind, sondern allzu oft das Denken in eine bestimmte Richtung drängen, etwas vorwegnehmen, unbewiesene Zusammenhänge suggerieren oder Wertungen abgeben; im Fall der «Feminisierung» eine Ab-Wertung. So schwingt jedenfalls bei den meisten ­Artikeln zu «Feminisierung der Medizin» mit: da geschieht etwas, was nicht vor­gesehen war und besser nicht hätte geschehen sollen, der Arztberuf hätte ­Männersache bleiben sollen. Warum? Wegen der Mehrkosten! Frauen würden öfter aus familiären Gründen aus dem Berufsleben aussteigen oder Teilzeit arbeiten und würden darum das Gesundheitswesen verteuern. Bewiesen wurde keiner dieser Zusammenhänge, jedenfalls nicht in den Artikeln, die ich fand. Zu meiner Genugtuung zeigte ein umsichtiger Beitrag, dass diese Unterstellungen frei erfunden sind: Es gibt keine harten Daten dazu, dass wir Ärztinnen das Gesundheitssystem verteuern würden.
Ich kann also aufatmen und muss kein schlechtes Gewissen haben. Denn ein wenig fühlte ich mich schon betroffen wenn nicht sogar mitschuldig an der Kostenexplosion. Schliesslich habe auch ich meinen Teil beigetragen zur «Feminisierung der Medizin»!

Dr. med. Karin Hirschi-Schiegg

Mitglied der Redaktion Synapse