Gastfreundschaft und Hoffnung für Geflüchtete

Eine Aktion der «Freiwilligen für Flüchtlinge Sissach»

Betroffenheit kann lähmen. Verstummen lassen. Oder das Gegenteil be­wirken. Wenn in einer Familie, im Dorf, draussen in der weiten Welt Schlimmes passiert – und Menschen erfahren davon –, sind sie berührt und haben unwillkürlich das Bedürfnis, in irgendeiner Form solidarisch zu sein, etwas zu tun, aktiv zu werden. Ein Musiker schreibt ­einen Song. Schulkinder verkaufen ­Kuchen, Handwerker legen Hand an. Man muss irgendwas tun können gegen diesen Schrecken! Oft dient das nicht nur den vom Schicksal Betroffenen, sondern auch der Bewältigung eigener Ratlosigkeit und Unruhe. Ich habe das persönlich erlebt, im Corona-Lockdown und beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs.

Betroffenheit kann bewegen. Initialfunke für die Gründung der FfF Sissach war 2015 ein von mir initiierter Vortrag über die Flüchtlingshilfsorganisation Cap Anamur in Sissach. Der Kapitän des Schiffs, Stephan Schmidt, rettet mit ­seiner Mannschaft Menschen, die bei der illegalen Überquerung des Mittelmeeres in Not geraten. In jenem Herbst schwappte die vorletzte Flüchtlingswelle, auch über die Balkanroute, nach Europa. Über hundert Menschen, unter ihnen auch einzelne Flüchtlinge, waren an jenem Abend zusammengekommen.

Am Ende sind – mir unvergesslich – verschiedene Menschen spontan aus dem Publikum aufgestanden und wollten sich sogleich engagieren: ihre Stimme erheben, Hand anlegen. Zwei Wochen später waren wir bereits 30 Freiwillige an der Arbeit und in Kontakt zu den Sozialhilfebehörden, Kirchen und Hilfswerken – und gingen in Zivilschutzanlagen diverser Einwohnergemeinden ein und aus. Bis Weihnachten hatten wir eine starke und eingespielte Gruppe Aktiver, die sich vielfältig engagiert hat.

Hoffnung gegen Hoffnungslosigkeit
Die gemeinsame Vision: Wer als Flüchtling bei uns ankommt, wird freundlich empfangen und erhält die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen und die Region Sissach kennenzulernen. Dank warmen Kleidern und Schuhen sowie ­einem Angebot an sinnvollen Beschäftigungen, Deutschunterricht, Sport können unsere Gäste am Alltag teilhaben und sich eine Tagesstruktur aufbauen. Gerade in den dunklen Monaten des ­Jahres in den noch dunkleren und trostlosen Zivilschutz­anlagen waren diese ­Angebote und die damit verbundene menschliche Wärme ein wichtiger Hoffnungsträger für viele der verzweifelten, einsamen, jungen Ankömmlinge. Hoffnung gegen Hoffnungslosigkeit.

FfFS sieht ihr Engagement als Ergänzung der staatlich-gemeindlichen Betreuung und als Unterstützung zur Bewältigung des Alltags der Flüchtlinge. Alle Angebote sind öffentlich transparent allen Flüchtlingen und Einheimischen zugänglich. Die Gruppe engagiert sich nicht politisch oder rechtlich in einzelnen Asylver­fahren, vermittelt aber Beistand.

FfFS ist unabhängig, aber offen und dankbar für die Zusammenarbeit mit den Kirchen und speziell den Gemeindebehörden von Sissach und Umgebung. Unsere Mitglieder sind ehrenamtlich ­tätig. Sie unterschreiben einen Freiwilligen-Verhaltenskodex, den wir auf ­Basis des SRK-Kodex verfasst haben.

Patientensicherheit gefährdet
In der Hausarztpraxis häufen sich die Berichte und Klagen von Patientinnen und Patienten über abnehmende Pflegequalität in Spitälern und Pflegeheimen. Dies ist nicht als Vorwurf an die Pflegenden gemeint, sondern als Vorwurf an den KUV-Bereich des BAG und die Krankenkassen, die für diese Misere in erster Linie verantwortlich sind. Sie haben die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, dass das Gesundheitswesen teurer, ineffizient und patientenfeindlich wird. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte, Pflegende und medizinische Praxisfachpersonen den Beruf, insbesondere die patientenzentrierte Tätigkeit, frustriert aufgeben. Sie sind verantwortlich dafür – dies bezeugt ein neuer Verordnungsentwurf, der das Parlament umgeht –, dass die Versorgungssicherheit mit Impfstoffen und Medikamenten weiter abnimmt. Sie sind somit auch verantwortlich für eine Gefährdung der Patientensicherheit respektive dafür, dass wir diese nur noch mit deutlichem Mehraufwand halten können.

Das Team
Wir sind ein vierköpfiges Kernteam aus Zunzgen und Sissach, welches die Gruppe von Anfang an leitet. Als Ortspfarrer bin ich als Moderator, Netzwerker, Mittelbeschaffer und Medienmann aktiv, mache keine direkte Betreuungsarbeit.
In der Folge sind in anderen Gemeinden, Frenkendorf und Gelterkinden, weitere lokale FfF-Gruppen entstanden.
Bereits im Dezember 2016 wurde die FfF Sissach für ihre kraftvolle und spontane Freiwilligenarbeit mit einem Anerkennungspreis der Baselbieter Regierung ­geehrt.
Zwischen 2018 und 2020 ist die Arbeit ­zurückgefahren worden. Nur ein kleines Team blieb aktiv und unterstützte ein paar wenige Familien aus Afghanistan und Syrien. Praktisch alle jungen Männer, die im Winter 2015/16 eingereist ­waren, waren weitergezogen oder untergetaucht.

Reaktivierung des Netzes nach Kriegsbeginn in der Ukraine
Im März 2022, nach Kriegsbeginn in der Ukraine, konnten wir innert weniger Tage das alte Netz aktivieren – und dank Kontakten zur regionalen Zeitung «Volksstimme», zu Einwohnergemeinden und Kirchen die Aufgaben wieder hochfahren, diesmal für vorwiegend Frauen und Kinder, die zunehmend aus dem Osten bei uns eintrafen. Wir halfen Gastfamilien bei der Vernetzung und unterstützten sie vor Ort. Für die Gemeinden sammelten wir Mobiliar und halfen Wohnungen einzurichten. Mütter und Kinder begleiteten wir in den ersten Schultagen, vermittelten Dolmetscher-Dienste. Im Laufe des Frühlings meldeten sich weit über hundert Menschen bei uns für Freiwilligendienste, längst nicht alle kamen zu Einsätzen, da der Zustrom aus der Ukraine im Juni plötzlich wieder abebbte. In den Sommerferien konnten die ukrainischen Familien keinen Urlaub machen. Diverse Freizeitangebote und Ausflüge verkürzten ihnen die Ferienzeit.

Die Schweizer Politik und Teile der Öffentlichkeit zeigten in den Jahren 2015/16 und 2022 zwei ganz unterschiedliche Gesichter. Die wenigsten der Geflüchteten aus den muslimischen Ländern fanden hier einen freundlichen Empfang – trotz vergleichbarer Lage in der Heimat. Sie ­bekamen kein Asyl oder gar ein Bleiberecht und Arbeit, während die Menschen aus der Ukraine fast alle mit dem Schutzstatus S begrüsst werden – und sich so leichter integrieren können, während hier ausharrende Flüchtlinge aus der ­vorherigen Welle in endlosen Verfahren ohne Perspektive und hoffnungslos festsitzen und seelisch oft kaputt sind. Unwürdig und schwierig für alle, die freiwillig oder beruflich mit Geflüchteten arbeiten.

Dieses Heft erscheint zur Adventszeit. Advent bedeutet Zeit der Erwartung und guter Hoffnung in kalter und düsterer Zeit. Der erwartete König wurde gar nicht royal oder würdig geboren – sondern als armer Schlucker Kind in der Krippe im Stall. Seine ersten Jahre verbrachte es als Flüchtlingskind in Ägypten. Wer Flüchtende gastfreundlich aufnimmt und (mindestens vorübergehend) unterstützt, der tut das an Jesus, lehrt das Neue Testament.

Matthias Plattner

Matthias Plattner ist hauptberuflich reformierter Ortspfarrer in Sissach, daneben als Kirchenrat in der kantonalkirchlichen Exekutive Baselland engagiert und Mitbegründer einer kleinen reformpädagogischen Privatschule.