Projekt Hausarztmedizin in Moldawien

Im Herbst 2019 war ich zum fünften Mal in Südmoldawien. Leider war danach als Folge der Corona-Pandemie kein Besuch mehr möglich. Seit Februar 2022 ist nun auch aufgrund des Ukraine-Krieges eine Reise nach Moldawien nicht mehr so ­einfach möglich. Ich möchte im Folgenden über meine Aktivitäten in Moldawien berichten, welche ich 2015 auf­genommen habe. Das übergeordnete Ziel meines Projektes war, Grundlagen für eine nachhaltige medizinische Hilfe und Unterstützung zum Wohle der ­dortigen ­Bevölkerung zu entwickeln und umzusetzen, vor allem durch Teaching (Bild 1) und praktisch-medizi­nische Wissensvermittlung.

Teaching session (Simultanübersetzung Englisch -> Rumänisch = Landessprache).

Teaching session (Simultanübersetzung Englisch -> Rumänisch = Landessprache).

Aufgang zur alten Hausarztpraxis.

Aufgang zur alten Hausarztpraxis.

Das zweite Ziel des Projektes war die Entwicklung und Finanzierung des Neubaus einer Hausarztpraxis, welche etwa 4000 bis 5000 Einwohner in einer sehr länd­lichen Region in Südmoldawien versorgt. Finanzielle Investitionen in Ländern wie gerade Moldawien sind dem Risiko ausgesetzt, dass die Mittel nicht dort ankommen, wo sie geplant waren. Wir konnten aber letztlich aushandeln, dass der Bau des Gebäudes mit staatlichen Geldern finanziert wird und wir die ­Gelder für die Infrastruktur und die ­Innenausstattung für die Hausarzt­praxis beisteuern. Das Projekt «Hausarztmedizin in Moldawien» war eingebettet in ein grösseres Projekt des Basler Fördervereins für medizinische Zusammenarbeit (https://globalmed.ch).

Prof. Dr. med. Andreas Zeller

Leiter des Universitären Zentrums für Hausarztmedizin beider Basel.

Project: Family doctor’s office Mihailovka/Moldowa
Medizinische und demografische Indi­katoren in Moldawien zeigen grundsätzlich leider eine ungünstige Entwicklung der allgemeinen Gesundheit der zum grossen Teil sehr armen Bevölkerung. So beträgt die mittlere Lebens­erwartung in Moldau durchschnittlich 71 Jahre (Männer 67, Frauen 75 Jahre), also weit unter dem Durchschnitt von West­europa. Grund dafür sind unter ­anderem die ­maroden Hausarztpraxen aus der Zeit der UdSSR, für welche sich aufgrund der baufälligen Gebäude auch kein Personal findet, welches dort arbeiten will. Auch die medizinische Aus­bildung der Hausärzte in Moldawien ist nicht mit ­unserem Standard zu ver­gleichen. Ein weiteres grosses Problem ist, dass junge Mediziner sehr häufig das Mutterland verlassen und wegen der besseren Lebensqualität und der besseren Verdienstmöglichkeiten irgendwo in den EU-Ländern eine Stelle suchen. Der «brain-drain» in diesem kleinen Land ist enorm. Als Hausarzt oder Hausärztin mit Familie auf dem Lande kann man ­finanziell kaum überleben und häufig haben die Hausärzte noch eine zusätz­liche Arbeitsstelle ausserhalb des medizinischen Sektors, um finanziell über die Runden zu kommen.

In Mihailovka, einem 2500-Seelen-Dorf im Süden Moldawiens, nahe der Grenze zur Ukraine befand sich bis vor Kurzem eine bis anhin eher schlecht als recht ­betriebene Hausarztpraxis in einem 112 Jahre alten Gebäude ohne fliessendes Wasser und mit undichtem Dach. Eine Aussenmauer des Gebäudes musste mit mehreren Dutzend Kubikmetern ­Erdreich abgestützt werden, um einen Einsturz zu verhindern (Bilder 2 bis 4). Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des maroden Gebäudes war eine Renovierung nicht möglich, geschweige denn rentabel. Das Sprechzimmer hatte eine heruntergekommene Infrastruktur, eine kaum funktionierende Heizung und ­unzureichende medizinische Einrichtungen. Dadurch waren auch die Arbeits­bedingungen unattraktiv und das medizinische Personal wanderte ab.

Aussenmauer gestützt mit Erdreich.

Aussenmauer gestützt mit Erdreich.

Praxisneubau 2018.

Praxisneubau 2018.

Leider noch ein kleiner Druckfehler («Hausarytmedizin»).

Leider noch ein kleiner Druckfehler («Hausarytmedizin»).

Eingang neue Praxis.

Eingang neue Praxis.

Alte Praxis: Untersuchungsliege, Wasserspender und Kachelofen.

Alte Praxis: Untersuchungsliege, Wasserspender und Kachelofen.

Neubau einer Hausarztpraxis
Mit meinen lokalen Vertrauenspersonen entwickelten wir den Plan, einen Neubau einer Hausarztpraxis auszuarbeiten auf einem öffentlichen Anwesen, das sich im Zentrum des Dorfes befindet und einen guten Zugang zu den wenigen geteerten Strassen hat. Nach zähen Verhandlungen mit den lokalen und nationalen Behörden gelang es meinen Kollegen in Moldawien, das Projekt voranzutreiben. Der Baubeginn war im Sommer 2018 und wurde mehrmals gestoppt durch administrative Hürden. Die Verwaltung des Dorfes Mihailovca, die Verwaltung von Cimișlia (Hauptstadt des Bezirks) und das Gesundheitsministerium hatten das Projekt in langen und zähen Verhandlungen schliesslich genehmigt und die Gelder gesprochen. Somit war die finanzielle Investition meinerseits kein Risiko, da ein Grossteil aus moldawischen Quellen stammt und ich erst zum Zuge kam, als das Gebäude stand. Das unterdessen neue entstandene Gebäude hat einen behindertengerechten Eingang, einen Wartebereich mit einer Rezeption, einen Triage-Raum, zwei Sprechzimmer, einen Behandlungsraum, einen Raum für ­gynäkologische Untersuchungen, eine Gemeinschaftsapotheke, einen Ruheraum, eine Toilette und einen Lagerraum.

Meine finanzielle Unterstützung war für die Inneneinrichtung bestimmt. Ich erhielt eine detaillierte und plausible ­Inventarliste, war auch während des Baus vor Ort, da Kontrolle besser ist als Vertrauen in diesem Land. Die benötigte Summe belief sich auf 586’110 ML (Moldawische Lei), was etwa 30’000.– Euro ­entspricht. Ich musste feststellen, dass eine Überweisung aus der Schweiz nach ­Moldawien eine mehrtägige Arbeit bedeutet. Einige Angestellte einer kantonalen Bank waren mit geografischen und banktechnischen Fragen klar überfordert. Schliesslich gelangte das Geld nach ca. einem Monat an den richtigen Ort. Die Praxis wurde schliesslich im November 2019 feierlich eingeweiht, vom ört­lichen Geistlichen gesegnet und ist nun schon bald seit drei Jahren in Betrieb.

Kurz vor der Corona-Pandemie, über Silvester 2019/20, war ich nochmals zu Besuch in Mihailovka. Wir wurden äus­serst warmherzig und mit grösster Gastfreundschaft empfangen. Die Dankbarkeit der Leute und des Personals ist nicht zu übertreffen, zu Tränen rührend, das kennen wir nicht (mehr) so in Mittel­europa. Ich bin überzeugt, dass die In­vestitionen in die neue Hausarztpraxis und in die zahlreichen Weiterbildungs­seminare mit den moldawischen Kolleginnen und Kollegen nachhaltig sind. Ich werde wieder nach Moldawien reisen, sobald die infektiologische und poli­tische Situation dies zulässt.