«Startups sind Innovationspioniere im Gesundheitswesen»

Die Initianten von Swiss Healthcare Startups sind Privatpersonen, die über langjährige Erfahrung in verschiedenen Gebieten im Gesundheitswesen verfügen und den Austausch zwischen etablierten Unternehmen und Startups fördern. Sie erkannten 2016 den Bedarf für ein schweizweites Gefäss, das den Austausch zwischen den involvierten Akteuren im Gesundheitswesen erlaubt. Ein Meilenstein für Swiss Healthcare Startups war die Förderung durch den Migros Pioneer Fund (früher Förderfonds Engagement Migros).

Wir sind eine Art «Tinder» des Gesundheits­wesens. Wir vernetzen etablierte Unternehmen mit Startups und umgekehrt. Wir führen eine schweizweit einzigartige Datenbank («Cortex») mit Startups im Gesundheitswesen, die uns beim «Matchmaking» unterstützt.
Ein weiteres Ziel ist das Fördern des Dialogs und Austausches zwischen den verschiedenen Akteuren innerhalb unseres Ökosystems sowie die Wissensvermittlung rund um wichtige Themen im Gesundheitswesen. Dies hilft uns dabei, ­unser Ziel, mit unserer Plattform den Standort Schweiz als Innovationsführer im Gesundheitsbereich zu stärken, zu erreichen.

Aktuell ist die Schweiz im Gesundheitswesen von grossen Unternehmen geprägt. Dies hängt nicht zuletzt mit der Res­sourcenintensität – sowohl personell als auch ­finanziell – und den ­hohen regulatorischen ­Anforderungen an Unternehmen, die im Gesundheitswesen tätig sind, zusammen. Startups sind dabei vergleichsweise untervertreten. Deren Anzahl wächst aber sehr schnell und vor allem sind sie in neuen, inno­vativen Gebieten, wie der Digitalisierung bzw. digitalen Lösungen, tätig. Startups sind damit auch im Gesundheitswesen, ebenso wie in ­anderen Branchen, wichtige Innovationsträger und definieren den Stand der Technik sowie Trends massgeblich mit. Startups sind häufig «Trendscouts», d. h. Vorreiter von später etablierten Technologien im Gesundheitswesen, und zünden den notwendigen Funken, den es zu Beginn benötigt, um auf eine Idee oder ein Bedürfnis aufmerksam zu machen.

An die Gründung selbst entfallen technisch gesprochen nicht allzu hohe Anforderungen. Die Herausforderung liegt in der strategischen und operativen Führung des Unternehmens, nachdem es ins Leben gerufen worden ist. Häufig sind die Firmengründerinnen oder -gründer zu Beginn der Tätigkeit des Unternehmens sowohl strategisch als auch operativ in Doppelrollen ­tätig. ­Sobald das Unternehmen wächst, kann eine Trennung dieser beiden Funktionen sinnvoll oder gar angezeigt sein und wird idealerweise auf mehrere Personen und deren Know-how verteilt. Dazu gehört mitunter die Fähigkeit der ­Firmengründerinnen oder -gründer, Aufgaben abzugeben. Sich frühzeitig Gedanken zum Aufbau eines Teams zu machen, die Teammitglieder in Entscheide miteinzubeziehen und einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, sind hierbei essenzielle Erfolgsbausteine.

ie Marktwahrnehmung und damit das Erkennen von Bedürfnissen einerseits und das Verstehen des Gegenübers als potenziellen Abnehmer in einem regulierten Markt andererseits sind zwei entscheidende Faktoren. Ein Produkt oder eine Dienstleistung kann noch so gut sein, wenn kein Bedürfnis bzw. keine Nachfrage für sie ­besteht oder diese in einem stark regulierten Markt mit hohen Marktzutrittsschranken, wie dem Gesundheitswesen, praktisch nicht um­setzbar sind. Sich in das Gegenüber, d. h. den Abnehmer des eigenen Produkts bzw. dessen Dienstleistung zu versetzen, ist unabdingbar. Obschon als Wachstumsmarkt mit grossem ­ökonomischem Potenzial definiert, handelt es sich beim Gesundheitswesen nicht um einen FMCG-Markt. Gewünscht sind nachhaltige ­Lösungen. Gerade im Bereich digitaler Angebote wird dem aus meiner Sicht oft nicht hinreichend Rechnung getragen. Ich lege daher jeder Neugründerin und jedem Neugründer nahe, sich ernsthaft mit der Regulierung und den systembedingten Gegebenheiten im Gesundheitswesen frühzeitig zu befassen und diese bereits bei der Konzeption und Ausarbeitung der Strategie (mitsamt Businessplan) zu berücksichtigen.

Es kann dabei helfen, möglichst früh und mit vielen Marktteilnehmern zu sprechen, um ein bedürfnisgerechtes, umsetzbares und damit marktfähiges Produkt/Dienstleistung zu entwerfen und zu lancieren. Gerade in einem ­System wie im Gesundheitswesen, in das verschiedene Akteure involviert sind, ist es eine ­Herausforderung, mit allen Akteuren – Patienten und Patientinnen und Leistungserbringern wie Ärzten und Ärztinnen, Gesundheitspersonal, Krankenkassen, dem Regulator usw. – in Ver­bindung zu treten. Dies ist einer der Gründe, warum Swiss Healthcare Startups gegründet wurde, nämlich, um das Gesundheitsökosystem zusammenzubringen und diesen wertvollen Austausch zu ermöglichen.

Manchmal sind nachgefragte und gangbare Lösungen solche, die einem «untechnischen» praktischen Bedürfnis entsprechen. Es lohnt sich, sich Einblicke von Fachpersonen aus dem gewünschten Bereich geben zu lassen, Arbeitsprozesse zu analysieren und für Opportunitäten für eine ­Geschäftsidee offen zu sein.

Unternehmertum ist ein Knochenjob. Es braucht vielseitige Eigenschaften, um ein Unternehmen – strategisch und/oder operativ – zu führen. Eine erfolgreiche Gründerpersönlichkeit ist aus meiner Sicht eine Person, die vor allem die Bereitschaft mitbringt, sich dieser Rolle mit all ihren Facetten anzunehmen. Dazu gehören für mich Mut, Entscheidungen zu treffen, Pioniergeist, Leidenschaft, Ausdauer, Neugier und Lern­bereitschaft sowie ein hoher Grad an Selbst­reflexion und Flexibilität, um auf veränderte ­Situationen reagieren zu können. Eine Portion (erfrischende) Naivität kann aus meiner Sicht ebenfalls nicht schaden, ansonsten würde man den Weg vielleicht gar nie antreten …

Es dürfte vermutlich nicht überraschen, dass der Anteil der Startups, die die Anfangsphase erfolgreich durchstehen, klein ist. Einer der Hauptgründe dafür ist ein Angebot zu lancieren, ­welches auf kein Bedürfnis bzw. keine Nachfrage auf dem Markt stösst. Weitere Gründe sind Spannungen und Uneinigkeiten betreffend der strategischen Ausrichtung innerhalb des Teams. Doch selbst wenn ein Startup scheitert: Bereut haben die Gründung die wenigsten, da der Wissenszugewinn und die erlangte Erfahrung ein potenzielles Scheitern in jedem Fall wettmachen.

Der Frauenanteil bei Startups ist tiefer als jener der Männer. Laut einer qualitativen und quantitativen Studie der Berner Fachhochschule vom Mai 2022 und gemäss dem Global Entrepreneurship Monitor 2022 liegt die Gründungsquote von Frauen bei 7,2 %, jene der Männer bei 12,3 % (Baldegger, Gaudart & Wild, 2022). Bei inno­vations- und wachstumsbasierten Unternehmensgründungen sind die Unterschiede grösser. So sind beispielsweise knapp 7 % der im Swiss Startup Radar aufgeführten Finan­zierungsrunden von Unternehmen abgewickelt worden, die frauengeführt sind (Kyora & Rockinger, 2020). [1] Startups im Gesundheitswesen beschäftigen meist Teams mit interdisziplinärem Fachwissen und Hintergrund, sodass Frauen durchaus regelmässig vertreten sind.

Gleichzeitig verfügt die Schweiz über etablierte, grosse ­Unternehmen, ausgezeichnete akademische Forschungsinstitutionen wie Universitäten und Hochschulen sowie über geeignete Infrastruktur wie Labore, die Startups nutzen können. Swiss Healthcare Startups mobilisiert die verschiedenen Akteure und Ressourcen, um sie Startups zugänglich zu machen.
Staatliche Förderung ist z. B. bei Innosuisse, der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, erhältlich. Innosuisse fördert u. a. Startups bei ihren F&E-Aktivitäten.

Literatur
Link zur Studie

SHS
Swiss Healthcare Startups (SHS) ist eine Non-Profit-­Organisation, die innovative Startups unterstützt, indem sie ihnen eine Plattform bietet und den Zugang zu relevanten Stakeholdern erleichtert. Als neutrale Plattform fördert SHS den Dialog, die Vernetzung und den Austausch innerhalb des Gesundheitswesens. Anfang 2023 waren 595 Startups bei SHS registriert.

Angelina Rau

Angelina Rau (BSc., MLaw, PhD Biomedical and Ethics cand., MME cand.) ist Geschäftsführerin von Swiss Healthcare Startups (SHS). Als Rechtsanwältin hat sie sich auf die Beratung von Unternehmen in regulierten Märkten wie Pharma, Medizintechnologie, Biotechno­logie, Gesundheitswesen und Chemie spezialisiert.

Bernhard Stricker

Mitglied Redaktion Synapse