Konkrete KI-Anwendung am Beispiel der Orthopädie

Den persönlichen Blick eines Orthopäden auf die KI in der Medizin wirft Dr. med. Dominic Mathis, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie und Oberarzt am Kantonsspital Baselland.

Dominic Mathis schreibt gerade einen Artikel zur KI in seinem Fach und sieht die Bedeutung der KI in erster Linie bei der Diagnostik, speziell der Bildinterpretation, aber auch in der Prothetik und Robotik. Die Algorithmen der Software der KI-Systeme seien so konzipiert, dass sie Abnormitäten erkennen und so konkret die Arbeit des Radiologen und Orthopäden unterstützten: «50% der Studien zur KI in der Orthopädie beziehen sich auf die Möglichkeit der Bilddiagnostik und Diagnosefindung», sagt Dominic Mathis. «In der Orthopädie ist das Ziel der KI-Anwendung die Optimierung des Workflows. So kann durch die Ersparnis von Zeit und menschlichen Ressourcen mittels KI-assistierter Bildinterpretation rasch zur Diagnose und damit zur unverzüglichen und adäquaten Therapieentscheidung gefunden werden.»

Getestet und teilweise bereits angewendet ­würden Algorithmen, wo der KI-Assistent des Systems auffällige Befunde markiere, z. B. in der Frakturdiagnostik auf der NF-Station: «Eine ‹Red-Flag› des Systems weist den jungen, unerfahrenen Assistenten auf suspekte Befunde hin – der Anteil von okkulten Frakturen sinkt dadurch signifikant, wie in einer 2021 veröffentlichten Multicenter-Studie gezeigt werden konnte, so Dr. Mathis.

Die KI-assistierte Identifikation eines Meniskus­risses, die Quantifizierung einer Knorpel­degeneration sind ebenso hoffnungsvolle ­Anwendungsbereiche, in denen der Mensch, sowohl Patient als Arzt, profitiert»,

so Dr. Mathis

In der Prothetik sei die Wissenschaft dank Digitalisierung am Punkt der individualisierten ­Prothetik angekommen, berichtet Dominic ­Mathis weiter. «Der Wandel weg von einem ­erfahrungsbasierten zu einem datenbasierten, patientenspezifischeren Behandlungskonzept ist die Grundlage für eine umfassende Analyse ­verschiedener Parameter und deren Interpretation hinsichtlich ihrer Relevanz während des ­Behandlungspfads. Unser Ziel bei der Anwendung der KI wäre es, durch ein verbessertes postoperatives Outcome einen Mehrwert für den einzelnen Patienten zu generieren – denn damit sollen die heute rund 20% ‹unhappy patients› nach Knie-Totalprothesenimplantation ebenfalls zur grossen Gruppe der ‹happy patients› aufschliessen können!» Bereits heute würden ­grosse, digital erhobene Datenmengen des präoperativen CT verwendet, um z. B. den Knie-Phänotypus zu bestimmen und die individuelle Massprothese herzustellen. «Mittlerweile sind es riesige Datensätze, die von den KI-Tools erfasst werden; von Morphologie von Knochen und Ligamenten über BMI und Komorbiditäten und, im Rahmen einer aktuell laufenden orthopädischen Studie, sogar subjektive Schmerz­parameter, Erwartungshaltung und soziokulturelle Daten. Als gesammelte Daten könnten sie in KI-Anwendungen einfliessen und schliesslich das ärztliche Handeln beeinflussen.»

Der Übergang zur Robotik in der Orthopädie sei an diesem Punkt fliessend: Die Operationsroboter würden mit grossen Datensätzen gespiesen und schlügen dem Benutzer, dem Operateur intraoperativ eine Handlungsweise vor. «Die Frage für den Operateur dabei ist, ob du dich auf den Roboter verlassen möchtest oder darfst, weil du glaubst, dass der hinterlegte Algorithmus dem Patienten den spezifischen Nutzen erbringt, oder du manuell nachjustierst.» Das A und O an diesem Punkt sei es zu definieren, welche ­Daten aus der Datenmenge heraustitriert und in einem System eingespiesen werden müssten, um schlussendlich einen Benefit zu generieren. Allein die gigantische Menge und das Zusammenspiel der Parameter machten es schwierig zu verstehen, welcher Faktor welchen Einfluss auf welchen Teil des Ergebnisses hat. Hier sei man mitten in der Entwicklung, meint Dominic Mathis dazu. Die Roboter, die aktuell Verwendung finden, seien «geschlossene Systeme», welche zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme in Hinblick auf die im Algorithmus verwendeten Daten abgeschlossen seien und auch nichts mehr dazulernten.

Ziel für die Zukunft soll sein, «weiterlernende Systeme» in der Robotik zu etablieren, damit aus der Vielzahl der gemachten Erfahrungen für zukünftige Patienten ein Mehrwert entsteht.

Bei der «Virtual Reality» fänden Orthopädie und Digitalisierung in einem weiteren wichtigen Bereich zueinander, hält Dr. Mathis abschliessend fest. Im sog. «Skills Lab», wie es seit letztem Sommer im Bruderholzspital eingerichtet ist, könne ein Teaching eines operativen Eingriffs mit sämtlichen Operationsschritten geübt werden, virtuell, aber auch reell mit Originalinstrumentarien. «Das Potenzial der KI liegt in der Weiterentwicklung dieser Trainingssysteme, der Mehrwert ergibt sich einerseits für den Patienten, denn der Patient und das Outcome von zukünftigen Operationen stehen im Mittelpunkt. Andererseits profitieren der Arzt in Ausbildung und die Klinik, denn dank dieser Technologie kann eine Ausbildungsklinik ihren Ausbildungsstandard auf dem notwendigen Level halten.»

Dr. med. Dominic Mathis

Dominic Mathis ist Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Be­wegungsapparates und tätig als Oberarzt und Kniespezialist am Kantonsspital Baselland. Seinen wissenschaft­lichen Schwerpunkt konnte sich Dr. Mathis im Gebiet der Knieprothetik aneignen, woraus unlängst die Einreichung seiner Habilitation an der Universität Basel hervorging.

Dr. med. Christiane Leupold-Gross

Mitglied Redaktion Synapse