«Lobbyismus ist der Preis des Milizsystems»
Anfang 2019 hatte die Redaktion der Synapse bereits einmal das Thema «Tabaklobby» unter dem Titel «Korruption in der Gesundheitspolitik» zum Schwerpunkt gemacht (Nr. 1/19). Dazu gehörte auch ein Interview mit Prof. Mark Pieth, das auf grosse Resonanz stiess. Viele seiner Aussagen sind heute genauso aktuell wie bei der Erstpublikation 2019. Hier ein Auszug:
• «Ich war schon beim ersten Entwurf der Tabakgesetzesvorlage bei der Beratung in der Gesundheitskommission involviert. Mir wurde sehr schnell klar, dass das Gremium durchsetzt war von Tabaklobbyisten, das heisst von Parlamentariern, die heimlich von der Tabaklobby bezahlt wurden.»
• «Die Gefahr ist gross, dass unsere Demokratie zu einer Scheindemokratie verkommt. Denn Parlamentarier, die heimlich von einer Lobby bezahlt werden, können gar nicht unabhängig politisieren.»
• «Der Europarat kritisiert uns regelmässig, dass wir nicht in der Lage sind, Transparenz herzustellen. Solange das nicht sauber geregelt ist, kann man mit Fug und Recht behaupten: ‹Die Schweiz ist eine gekaufte Demokratie.› Und das ist gerade für ein Land wie die Schweiz fatal, das sich brüstet, eine der ältesten Demokratien der Welt zu sein.»
• «Lobbyismus ist prinzipiell nicht verwerflich, es geht vielmehr um Transparenz. Wir sind mündige (Stimm-)Bürger, die mit Fakten umgehen können: Wenn ich weiss, wer wen mit welchem Betrag ‹unterstützt›, dann kann ich selber entscheiden, wem ich bei der nächsten Wahl meine Stimme geben will. Wer hingegen als Parlamentarier Geldzuschüsse verheimlicht, müsste meiner Meinung nach mit einem Strafverfahren rechnen.»
• «Viele Parlamentarier sind Anwälte, die völlig legal ein Honorar verrechnen oder entgegennehmen können, ohne dass sie nachweisen müssen, woher und wofür die Geldleistung kommt. Mit anderen Worten: Viele Lobbytätigkeiten sind als Anwaltsmandate verkleidet.»
• «Lobbyismus ist der Preis des Milizsystems.»
• «Wir sind nicht wirklich liberal, die Schweiz ist ein Piratenhafen für die drei grossen internationalen Tabakkonzerne, die hier ihren Sitz haben und mehr oder weniger tun können, was sie wollen, weil eine gesetzliche Regulierung fehlt. Das ist eine grosse Schwäche der Schweiz. Das passt aber in einen viel grösseren Kontext: Wir waren ja bis in die 1980er Jahre noch eine Geldwaschanlage für Drogengelder, was inzwischen erkannt und abgeschafft ist.»
• Die grossen Tabakkonzerne haben unser Land jahrelang als Drehscheibe genutzt, um im grossen Stil Zigaretten zu schmuggeln. Nachgewiesen ist zum Beispiel der Schmuggel von Zigaretten von Albanien per Schnellbooten übers Mittelmeer nach Italien – mit Beteiligung der Camorra.
• Die Tabakkonzerne dürfen von hier aus «giftige» Zigaretten nach Afrika verkaufen, die man in der Schweiz und in Europa nie zulassen würde, weil der Teergehalt viel zu hoch ist.
• Wir haben eine völlig falsche Selbstwahrnehmung, die im krassen Gegensatz steht zur Fremdwahrnehmung des Auslandes! Das heisst: Wir vermitteln mit unserer Tabakpolitik das Bild einer Schweiz, die nicht in der Lage – und auch nicht willens – ist, ihre eigenen Kinder vor Tabakwerbung zu schützen, und die auch noch die Ausfuhr von giftigen Tabakprodukten in Länder begünstigt, die sich nicht dagegen wehren können. Und das Ganze segelt auch noch unter Begriffen wie «Freihandel» und «Liberalismus», wie das neuerdings Bundesrat Cassis im Ausland immer öfter verkündet. Das ist ein gewaltiger Imageschaden für die Schweiz.
Das vollständige Interview finden Sie hier:
https://synapse-online.ch/wp-content/uploads/2022/11/Synapse_1_2019.pdf

Prof. Dr. Dr. h.c. mark Pieth
Prof. Dr. Dr. h.c. Mark Pieth war von 1993 bis 2020 Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Basel. Von 1989 bis 1993 war er zudem Chef der Sektion Wirtschaftsstrafrecht beim Schweizer Bundesamt für Justiz (Eidg. Justiz- und Polizeidepartement).