E-Zigarette wirft Tabakprävention um Jahre zurück

Der Konsum von E-Zigaretten und Snus unter den Minderjährigen nimmt rasant zu. Schulen, Präventions- und Suchtfachstellen sind alarmiert.

Elektronische Zigaretten (auch bekannt als E-Zigaretten oder Vapes) sind tragbare elektronische Geräte, die die Wirkung einer Tabakzigarette imitieren, aber keinen Tabak enthalten und inhalierbare Aerosole durch elektronisches Erhitzen einer E-Flüssigkeit (Liquid) erzeugen.
Im Unterschied zu der Zigarette ist es aber schwierig, von der E-Zigarette zu sprechen, denn die Produkte können sich in vielerlei Hinsicht deutlich voneinander unterscheiden.

Die Geräte können grob nach drei Kategorien unterschieden werden: Die älteste Kategorie sind solche mit grossem Tank, der von Hand befüllt wird bzw. deren Flüssigkeiten von Hand gemischt werden. Sie sind im Vergleich teuer und können oftmals in modularer Weise zusammengestellt werden. Heutzutage bilden sie eine Nische. Verbreiteter sind die Systeme mit Kartuschen, die wie bei einer Nespresso-Maschine gewechselt werden können.

Mit diesen Produkten ist den grossen Tabakmultis der Einstieg in den Markt der E-Zigaretten gelungen.

Die neusten Modelle sind sogenannte Einweg-E-Zigaretten, auch Puffs oder Puff Bars genannt. Wie der Name sagt, können weder Akku noch Behälter geladen bzw. aufgefüllt oder ausgetauscht werden. Gerade diese Einweg-E-
Zigaretten sind handlich, sehr bunt und äusserst reizvoll für Minderjährige.

Gefährliche Liquids

Es gilt, auch die Liquids voneinander zu unterscheiden: Neun von zehn enthalten Nikotin. Das Nikotin wird heute oftmals in Form von Nikotinsalzen verwendet. Der niedrige pH-Wert beschleunigt die Aufnahme. Neben dem aus der Tabakpflanze gewonnenen Nikotin wird immer häufiger synthetisches Nikotin genutzt, das chemisch hergestellt wird und sich von natürlichem Nikotin unterscheidet. Sowohl die Auswirkungen von Nikotinsalzen wie auch jene von synthetischem Nikotin sind noch kaum erforscht.

Der Nikotingehalt bei Liquids ist gesetzlich bis 20 mg pro ml erlaubt. Die Frage, wie stark die Wirkung dieser hohen Nikotinkonzentration ist, hängt von einem weiteren wesentlichen Faktor ab: wie schnell das Gehirn mit dem Nikotin geflutet werden kann. War bei den ersten E-Zigaretten noch das Problem, dass das Nikotin sehr langsam aufgenommen wurde, sind die aktuellen Produkte mittlerweile in der Lage, den «Nikotinflash» einer Zigarette nicht nur zu imitieren, sondern sogar zu übertreffen, dies auch dank Nikotinsalzen und synthetischem Nikotin.

Das Suchtpotential der E-Zigaretten bewegt sich damit mindestens im Bereich der klassischen Zigarette.

Genauso beunruhigend ist, dass die Inhalte der Liquids kaum kontrolliert werden. Die schiere Masse an Zehntausenden verschiedenen Liquids von Hunderten verschiedenen Herstellern aus China überfordert die kantonalen Labore schlichtweg. 2022 untersuchte das Laboratorium des Kantons Basel-Stadt eine Stichprobe von 59 E-Liquids aus fünf Kantonen: Zwei Drittel der untersuchten E-Liquids mussten beanstandet werden. 26 der Produkte, fast die Hälfte, wurden mit einem Verkaufsverbot belegt. Die beiden häufigsten Gründe für das Verkaufsverbot waren das Fehlen eines Warnhinweises in einer Amtssprache (11 Produkte) sowie eine falsche oder fehlende Einstufung der verwendeten Chemikalien (23 Produkte).

Jugendliches Zielpublikum
Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass insbesondere die Einweg-E-Zigaretten auf ein jugendliches Publikum abzielen: Das Design orientiert sich an Produkten aus dem Silicon Valley. Die Farben sind bunt, knallig, leuchtend und glitzernd. Die Geschmäcker heissen «Strawberry banana ice», «Peach ice» oder «Cotton Candy». Die Werbung setzt auf hippe junge Leute. Der Absatz von Puffs wächst rasant, 2022 um möglicherweise mehr als 2200%.
Bei den Präventions-, Suchtfachstellen und Schulen schrillen alle Alarmglocken. Unter den Minderjährigen explodiert der Konsum von Einweg-E-Zigaretten und Snus – vor den Augen der Experten- und Lehrerschaft. Im Jugendsportbereich hat man mit einem Problem zu kämpfen, das man bereits überwunden glaubte:

Die Sportjugend konsumiert wieder Tabak und Nikotinprodukte, ebenfalls in Form von Puffs und Snus.

Diese Welle ist keine Überraschung, ein Blick über den Atlantik hätte genügt, um zu wissen, welche Werbe- und Produktelawine mit ein, zwei Jahren Verspätung nun über unsere Kinder und Jugendlichen hinwegrollt. Eine repräsentative Befragung in den Berufsschulen und Gymnasien des Kantons Aargau zeigte bereits im Jahr 2021, dass bei 15- bis 17-Jährigen rund 7% mindestens wöchentlich E-Zigaretten konsumieren. Das war noch ganz am Anfang der Einweg-E-Zigaretten. Eine Anfang dieses Jahres erschienene Studie von Unisanté und der Gesundheitsförderung Wallis zeigt, dass in der Westschweiz nun bereits 30% der befragten 14- bis 17-Jährigen innerhalb des letzten Monats Einweg-E-Zigaretten benutzt haben, davon rund ein Drittel mindestens zehn Mal, also regelmässig. Die Zahlen zeigen auch, dass die E-Zigarette (wie auch der Snus) die Zigarette bei den Jugendlichen nicht ablöst, sondern diese ergänzt und zusätzlich neue Gruppen erreicht.

Leider fehlte der politische Wille, frühzeitig Vorkehrungen zu treffen.

Und dieser Wille fehlt noch immer. Das im Jahr 2021, nach sechs Jahren zähem Ringen zwischen den Jugend- und Gesundheitsorganisationen und der Tabaklobby, von National- und Ständerat endlich beschlossene – lückenhafte – Tabakproduktegesetz wird voraussichtlich irgendwann 2024 in Kraft treten. Die vom Volk 2022 mit der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» gegen eine Allianz aus Tabakindustrie, Wirtschaft und Mitte-Rechts beschlossene Verschärfung der Werbeeinschränkungen für Tabak- und Nikotinprodukte wird bestenfalls 2025 in Kraft treten. Bis dahin unterliegen E-Zigaretten nur in wenigen Kantonen einem Mindestabgabealter und einigen bescheidenen Werbeeinschränkungen auf Plakaten. In nur vier Kantonen gelten bislang die Passivrauchbestimmungen auch für E-Zigaretten. Das ist viel Zeit für die Tabak- und Nikotinindustrie, um noch möglichst viele Jugendliche «abzuholen» und sich ein Stück vom Kuchen zu sichern.

Weitere Infos:

Viele E-Liquids zu beanstanden

www.gd.bs.ch/nm/2022-viele-e-liquids-zu-beanstanden-gd.html

Ansteigender Tabakkonsum

www.lungenliga.ch/de/lungenliga-aargau/aktuelles/aktuelldetail/news/ansteigender-tabakkonsum-jetzt-die-jugendlichen-schuetzen.html

Enquête sur l’usage et les représentations des cigarettes électroniques jetables (puffs) parmi les jeunes romand·es

www.unisante.ch/fr/formation-recherche/recherche/publications/raisons-sante/raisons-sante-344

Nicola Imseng

Projektmanager Kommunikation der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz