«Hospital at Home» hat Zukunftspotenzial
Der Erfolg des Konzeptes «Hospital at Home» hängt wesentlich von seiner Finanzierung ab. Dazu gehören vor allem die Einführung des TARDOC und von EFAS (Einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen). Ausserdem müssen die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit verbessert werden, für die vor allem der Bund und die Kantone verantwortlich sind.
Bei «Hospital at Home» handelt es sich um eine weitere Möglichkeit, den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten entgegenzukommen, mit dem Potenzial, Kosten und Komplikationen zu reduzieren, seien sie auch nur durch einen Umgebungswechsel bedingt, etwa bei Fragilität, wie in den vorliegenden Artikeln in dieser Synapse ausgeführt wird.
«Hospital at Home» ist auf funktionierende Interaktionen und Koordination angewiesen: geeignete medizinische Fachpersonen, welche die Monitoringgeräte überwachen und bei Bedarf das Spital respektive die mobile Equipe des Spitals benachrichtigen. Hier handelt es sich um eine Vorhalteleistung, die finanziert werden muss. Die Monitoringgeräte müssen verfügbar sein, schneller Ersatz und/oder Reparatur müssen gewährleistet sein. Ganz wichtig sind die Verbindungen zu den medizinischen Fachpersonen, die nicht im Spital arbeiten, wie Spitex, inklusive spezialisierte Spitex, Hausarztpraxis, je nach Ort und Situation die lokale Apotheke, je nach Situation medizinisch-therapeutische Berufe.
Koordination und Absprache benötigen Zeit, und zwar Zeit, die für alle beteiligten Berufsgruppen entschädigt werden muss. Derzeit werden Koordination und Absprachen durch den Tarif mehr behindert als gefördert. Während viele Berufe gar keine Entschädigung erhalten, wurde die Zeit für Koordination für Hausärzte durch den Tarifeingriff des Bundesrates massiv gekürzt. Die Einführung von TARDOC ist deshalb entscheidend, um diese Fehler zu korrigieren. Es braucht keine neuen Leistungserbringer, wie von sämtlichen Gesundheits- und Medizinalberufen wie auch Versichererseite festgehalten wurde.
Für eine bessere Koordination müssen nur die durch den Bund begangenen Fehler korrigiert werden, auch im Bereich Digitalisierung.
TARDOC wird auch dazu führen, dass erstmals auch nichtärztliche Berufe eine Entschädigung für ihre Arbeit erhalten.
Aufgrund der demografischen Entwicklung und je nach geografischer Lage der Hausarztpraxis werden wir auf Medizinische Praxiskoordinatorinnen (MPA) klinischer Richtung und/oder Pflegeexpertinnen APN angewiesen sein, um die zunehmende Anzahl von Patientinnen und Patienten qualitativ gut und zweckmässig versorgen zu können. Es geht hierbei nicht um eine Mengenausweitung, sondern rein darum, Patientinnen und Patienten überhaupt noch innert gegebener Zeit versorgen zu können. Drei wertvolle Jahre sind vergangen, ohne dass TARDOC eingeführt wurde. Da deshalb keine ausreichende finanzielle Basis besteht, haben zahlreiche junge, frisch ausgebildete Fachkräfte das Gesundheitswesen schon wieder verlassen und sich anders orientiert. Berechnungen des Krankenversicherungsverbandes curafutura haben ergeben, dass mit einer Einführung des TARDOC das Kostenwachstum 2021 geringer ausgefallen wäre. Neben überfüllten Notfallstationen hat die bundesrätliche Gesundheitspolitik somit auch noch zu Mehrkosten geführt.
Ein Verteilungsproblem
Wir haben kein Kostenproblem, sondern ein Verteilungsproblem hinsichtlich Finanzierung im Gesundheitsbereich. Obwohl die Gesundheitsversorgung immer leistungsfähiger wird und immer mehr Menschen versorgt, wachsen die Gesundheitskosten in fast allen Industrieländern langsamer, das Kostenwachstum flacht ab. In der Schweiz betrug das Kostenwachstum in den letzten 15 Jahren durchschnittlich 2,6 %. Leider wachsen die Prämien stärker als die Gesundheitskosten. Die Gesundheitskosten sind seit 1996 um 82 % gestiegen, die Prämien aber um 146 %. Das liegt auch daran, dass wir 1996 30 % und heute 38 % der Gesundheitsversorgung über die Kopfprämien bezahlen. Somit kommen wir zu einer weiteren Voraussetzung für «Hospital at Home»: EFAS (Einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen) ist einzuführen. Andernfalls würden auch «Hospital at Home» respektive die unmittelbare Anschlussbehandlung zu einem Prämienanstieg führen, da die gesamten Kosten auf die Prämie abgewälzt werden statt nur ein Bruchteil wie bei einer stationären Behandlung. Ambulant vor stationär, wie es momentan von den Kantonen angedacht ist, führt in erster Linie zu einem Anstieg der Krankenkassenprämien, trotz niedrigeren Gesamtkosten, und zu einer Entlastung des steuerfinanzierten Kantonsanteils.
Real gesehen ist die Entschädigung im ambulanten Bereich so schlecht, dass die Betreiber von «Hospital at Home» für diesen Bereich, wie im Spital, ebenfalls eine DRG-Pauschale als Voraussetzung für ein langfristiges Gelingen dieser Betreuungs- und Therapieform sehen.
Spitäler und Praxen leiden bei seit Jahren nicht angepassten Entschädigungen unter höheren Lohnkosten, Mieten, Energiekosten, höheren Beschaffungskosten für Medikamente und Medizinalprodukte. So sind erste Praxen schon Konkurs gegangen. Möglicherweise werden weitere folgen. In unserem Dorf findet sich aus finanziellen Gründen keine Physiotherapie mehr. Und jetzt sollen die Tarife für Physiotherapie noch weiter gekürzt werden? Auch eine Pflegeinitiative lässt sich mit solchen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wohl nicht glaubhaft umsetzen.
Rahmenbedingungen müssen verbessert werden
Es gibt noch weitere Punkte, die bei «Hospital at Home» zu berücksichtigen sind:
Auch die Assistenzärzte verlassen zunehmend die Anstellungen noch während der Weiterbildungsphase: nein, nicht primär wegen der Arbeitszeiten und der Verstösse gegen das Arbeitsgesetz, auch nicht wegen des tiefen Stundenlohns. Diese Missstände bestehen schon seit Jahrzehnten und die Situation der Assistenzärztinnen und -ärzten wurde als «Durchgangsposition» ausgenutzt. Nein, was neu ist: Die Sinnhaftigkeit der Arbeit hat abgenommen. Solange «Hospital at Home» es schafft, den administrativen Aufwand sehr klein zu halten und längere Kontaktzeiten mit den Patientinnen und Patienten zu ermöglichen, so lange hat das Projekt Potenzial. Trifft das Gegenteil ein, kann «Hospital at Home» begraben werden, da sich dann schlichtweg keine Fachkräfte im ärztlichen und pflegerischen Bereich für dieses Versorgungsmodell finden werden.
Gegenwärtig begeht die Gesundheitspolitik den fatalen Fehler, dass sie aus Gründen der politischen Machbarkeit dem einfachsten Weg folgend auf nationaler Ebene die Grundversorgung kaputtspart. Auf kantonaler Ebene versuchen die Kantone diese wiederum zu stützen, da sie im Gegensatz zum Bund die direkten Folgen zu spüren bekommen. Patientinnen und Patienten weichen in der Folge auch vermehrt auf die Sekundär- und seltenerweise die Tertiärversorgung aus, was mehr kostet. Die Sparversuche des Bundesrates führen somit paradoxerweise zu Mehrkosten.
Für ihre hochstehende Versorgung gibt die Schweiz mit 11,8 % des BIP weniger aus als das Vereinigte Königreich (12,8 %), mit einem staatlichen System, wie von gewissen Gesundheitspolitikern derzeit favorisiert. Auch Deutschland (12,5 %) und Frankreich (12,4 %) geben mehr aus. Die Kosten in Österreich, Schweden, Norwegen und den Niederlanden (11,2–11,5 %) liegen nur unwesentlich tiefer.
Ebenfalls müssen «Hospital at Home»-Projekte darauf achten, den Zusatznutzen nachzuweisen, sonst werden auch sie Opfer eines einseitigen Kostenfokus.
«Hospital at Home» ist auch deshalb besonders, weil Akutpatientinnen und -patienten behandelt werden, die auf die Verfügbarkeit von Medikamenten angewiesen sind. Derzeit fehlen gerade wieder Medikamente, deren Fehlen als sehr problematisch zu bewerten ist: Antidiabetika, Antikoagulantien, Antihypertensiva und weitere mehr.
Es müssen folglich einige Rahmenbedingungen verbessert werden, damit «Hospital at Home» gelingen kann. Die Verantwortlichkeit hierfür liegt primär bei Bund und Kantonen.
Die FMH und die kantonalen Ärztegesellschaften engagieren sich für gute berufliche Rahmenbedingungen, die eine sinnhafte Berufsausübung und Responsible Care erlauben. Die Patientinnen und Patienten sollen im Zentrum stehen und nicht die durch Mikroregulation explodierende Bürokratie. Packen wir es gemeinsam an, mit allen anderen Stakeholdern, die in ihrer täglichen Arbeit Patientinnen und Patienten helfen und sie unterstützen.