Tabaklobby: Die mächtige Unsichtbare

Die Schweiz gilt weltweit als eines der industriefreundlichsten Länder. Das Beispiel der Tabakindustrie zeigt nun aber,was geschehen kann, wenn deren Lobby zu mächtig wird.

Der Global Tobacco Industry Interference Index misst die Bemühungen der Regierungen gegen die Einflussnahme der Tabakindustrie. Die Schweiz liegt auf dem 79. Platz (von insgesamt 80 Staaten) und gilt somit als besonders industriefreundlich. Unter den europäischen Staaten schneidet die Schweiz sogar am schlechtesten ab. Es überrascht deshalb nicht, dass die Schweiz in der Tobacco Control Scale, welche die Massnahmen der europäischen Staaten zur Eindämmung des Tabakkonsums misst, den zweitletzten Platz belegt. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass sich eine stabile Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer bessere und griffigere Massnahmen gegen Tabak- und Nikotinprodukte wünscht, insbesondere bei der Werbung sowie dem Jugendschutz allgemein. 2022 stimmten denn auch 57 Prozent der Bevölkerung für die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». Dies gegen eine Allianz aus Parlament, Bundesrat, Wirtschaft und eine Gegenkampagne, welche rund sechsmal mehr Geld zur Verfügung hatte. Es stellt sich die Frage: Wieso gibt es diese Diskrepanz bei der Tabakpolitik zwischen den politischen Vertreterinnen und Vertretern und der Bevölkerung?

Diskrete Netzwerke

Die drei Tabakkonzerne British American Tobacco, Japan Tobacco International und Philip Morris sind eine Macht: Sie produzieren in der Schweiz über 40 Milliarden Zigaretten pro Jahr, davon sind rund drei Viertel fürs Ausland bestimmt. Japan Tobacco International und Philip Morris steuern zudem einen Grossteil ihrer internationalen Geschäfte von Genf bzw. Lausanne aus. Philip Morris bezahlt wahrscheinlich mehr Unternehmenssteuern im Kanton Neuenburg als alle anderen Unternehmen im Kanton zusammen.

über Jahre, Jahrzehnte hat die Tabakindustrie ein diskretes Netz über die Schweiz gesponnen:

Man kennt sich, Bundesbern ist klein. Das Netz reicht von der Industrie über die mächtigen Verbände, deren Vertreterinnen und Vertreter selbst im Parlament sitzen, zu Interessengruppen und Lobbyistinnen. Man leistet sich die teuersten Agenturen der Lobbybranche. Die Vertreter der Tabakindustrie sind teilweise direkt in anderen Organisationen vertreten; oftmals in der Rolle einer Doppelfunktion, mit den Hüten zweier oder mehrerer Organisationen. Häufig sind sie auch indirekt vertreten, durch Personen von Organisationen, auf welche die Tabakindustrie wiederum direkten Einfluss hat.

Dies klingt alles sehr abstrakt, wir wollen deshalb an drei konkreten Beispielen die Funktionsweise dieses Netzwerkes aufzeigen:

• Einer der mächtigsten Verbände der Schweiz ist der Gewerbeverband. Die in seiner «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Präventionspolitik», kurz AWMP, organisierten Verbände helfen sich gegenseitig, wenn die Interessen des einen tangiert werden. Die AWMP kann sich zudem auf das riesige politische Netzwerk des Gewerbeverbandes stützen: Es reicht bereits eine Empfehlung des Gewerbeverbandes an seine Mitglieder und Dutzende Verbände und mit ihnen die Politikerinnen und Politiker, die sie vertreten, sprechen sich im Sinne der Tabaklobby aus.

• Die Lauterkeitskommission «wacht über die Fairness in der Werbung». Im Sinne eines klassischen Netzwerkes sind viele Vertreterinnen und Vertreter der Kommission bzw. die von ihnen in der Kommission vertretenen Firmen und Verbände Mitglieder bei KS/CS Kommunikation Schweiz. KS/CS Kommunikation Schweiz wiederum ist Mitglied der gerade beschriebenen AWMP. Zudem sitzen in den diversen Komitees und Arbeitsgruppen der KS/CS Kommunikation Schweiz sowohl Mitglieder der Lauterkeitskommission wie auch Vertreterinnen und Vertreter der Tabaklobby und -industrie.

• Es kann aber auch viel simpler sein: Der Tabakbauernverband ist in einer personellen Doppelrolle auch im Generalsekretariat des wichtigen Bauernverbandes vertreten. Die Sichtweise des Tabakbauernverbandes zum Thema Tabak unterscheidet sich nicht von jener des Bauernverbandes.

Die Mischung aus Lobbying, persönlicher Nähe untereinander, Interessensübereinkünften, Solidarität sorgt letztlich dafür, dass die Tabaklobby so erfolgreich ist.

Erfunden hat diese Strategie mit dem weit verzweigten Netz von Verbündeten die Tabaklobby nicht, doch setzt sie diese wohl seit Jahrzehnten am konsequentesten um.

Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz

Letztendlich sind auch einige Gesundheitsorganisationen in dieses Netzwerk eingebunden, wenn sie beispielsweise Mitglied des Schweizerischen Gewerbeverbandes oder eines kantonalen Gewerbeverbandes sind. So ist es zu erklären, dass sich eine kantonale Ärztegesellschaft bei der Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz der Antwort des Gewerbeverbandes anschloss, welche letztlich aus der Feder der Zigarettenproduzenten stammte. Die Agentur, welche das Sekretariat der Ärztegesellschaft führt, tat einfach das Übliche: Sie nutzte, was der kantonale Gewerbeverband seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt.

Durch dieses Netzwerk gelingt es der Tabaklobby, faktisch jedes ihrer spezifischen Probleme als Problem der gesamten Wirtschaft erscheinen
zu lassen:

Staatliche Verbote schränken die Werbefreiheit ein, die Wirtschaftsfreiheit, die persönliche Freiheit. Jeder Versuch, die Tabakindustrie einzuschränken, wird damit unwillkürlich zu einem Angriff auf die gesamte Wirtschaft.

Kann man es mit so einem Gegner aufnehmen? Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz setzt sich im Auftrag und in Absprache mit ihren Mitgliederorganisationen für die Stärkung jener strukturellen Bedingungen ein, die nötig sind, um den Tabak- und Nikotinkonsum zu senken. Sie setzt sich für eine stärkere Tabakkontrollpolitik ein, erarbeitet Wissensgrundlagen, informiert die Öffentlichkeit und Stakeholder und stärkt die Vernetzung und Koordination der Akteure der Tabakkontrolle. In der schweizerischen Tabakpolitik muss jeder kleine Schritt in die richtige Richtung dem Parlament und der Tabaklobby in mühsamer und aufwendiger Arbeit abgerungen werden. Gleichzeitig sterben jedes Jahr fast 10 000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums und neue Generationen von Jugendlichen werden nikotinabhängig.

Weitere Infos:

Tobacco Control Scale:

www.at-schweiz.ch/advocacy/tabakindustrie/tobacco-control-scale

Global Tobacco Industry Interference Index:

www.at-schweiz.ch/advocacy/tabakindustrie/global-tobacco-index

Wolfgang Kweitel

Leiter Public Affairs der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz