Buchbesprechung – «Rettet die Medizin»

Ärztinnen und Ärzte stehen immer stärker unter Druck, ihre Patientinnen und Patienten primär nach ökonomischen Kriterien zu behandeln. Dagegen beginnt sich nun Widerstand zu regen, und zwar immer mehr und lauter auch aus ärztlichen Kreisen selbst. In seinem Buch Rettet die Medizin! Wie Ärzte das Ruder wieder selbst in die Hand nehmen können plädiert Prof. Dr. med. Peter Pramstaller überzeugend, warum es Zeit ist, dass Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf verteidigen und ihr Schicksal (wieder) selbst in die Hand nehmen müssen.
Dazu gehört laut Pramstaller nicht nur medizi­nisches, sondern auch unternehmerisches und ökonomisches Wissen. Er kritisiert vor allem die aus der Industrieproduktion übernommene Fixierung auf Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Gewinnstreben, die zu zahlreichen Fehlentwicklungen geführt und die Medizin ­ihrer eigentlichen Inhalte beraubt habe. Er ruft deshalb seine Berufskolleginnen und -kollegen auf, mehr Verantwortung zu übernehmen, auch politische und ökonomische.
Waren Ärzte bisher nur ihrem Gewissen und ­ihren Patienten verpflichtete interdisziplinäre Denker und Entscheider, so verloren sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte schrittweise ihre Entscheidungskompetenz, wie sie ihren Beruf ausüben. Der Grund liegt seiner Analyse nach in einem dem Gesundheitswesen ohne zentrale Beteiligung der Ärzteschaft übergestülpten ­Managementsystem, das sich an der Industrieproduktion orientiert.
Pramstaller fordert die Ärztinnen und Ärzte auf, sich neben medizinischen Kenntnissen auch Führungswissen anzueignen: Wir brauchen auch ökonomische und organisatorische Grundkenntnisse. Doch die werden weder angehenden noch bereits praktizierenden Ärzten syste­matisch vermittelt.
Pramstaller beobachtet zudem eine Entwicklung, die auf einen «Tipping Point» zusteuert, ­einen Umkipp- oder Wendepunkt: Im Gesundheitswesen steuern wir fraglos auf einen Tipping Point zu, und es liegt an uns Ärzten, dafür zu sorgen, dass sich die Richtung ändert und sich die Medizin wieder ihrem Sinn- und Wesenskern zuwendet: der Verhinderung, Heilung und Linderung von Leiden.
«Das bedeutet nicht, dass wir uns ökono­mischen Rahmenbedingungen und Grenzen ­verweigern und sie negieren, wohl aber, dass wir selbst darüber bestimmen müssen, wie wir das Vorhandene zum grösstmöglichen Wohl der Patienten einsetzen.»

Die Versuche, der Medizin fachfremde und praxisferne Veränderungen von aussen zu verordnen, sind nach Ansicht von Pramstaller weitgehend gescheitert.

Nur die Ärztinnen und Ärzte verfügten über die erforderliche Fachkompetenz und Praxiser­fahrung, um über eine sinnvolle Ressourcen­verteilung und über zentrale Weichenstellungen zu entscheiden, denn nur sie könnten die komplexen Folgewirkungen für ihre Patientinnen und Patienten und ihre Behandlung abschätzen.
Wörtlich schreibt Pramstaller: Damit Ärzte ihre Veränderungsfunktion erfüllen können, müssen sie ihre Verweigerungshaltung gegenüber dem System aufgeben und sie gegen eine auf per­sönlicher Verantwortung basierende Führungsbereitschaft austauschen. Denn dass es zu den allseits beklagten Fehlentwicklungen gekommen ist, hat seine Ursache teilweise auch in dem Rückzug der Ärzte aus ihrer syste­mischen Führungsverantwortung.

Buchcover

«Rettet die Medizin! Wie Ärzte das Ruder wieder selbst in die Hand nehmen können» von Dr. med. habil. Peter P. Pramstaller, Neurologe am Zentralkrankenhaus Bozen (Südtirol) sowie Wissenschaftler und Leiter des Institutes für Biomedizin an der Euro­päischen Akademie in Bozen. MWV, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2016

Bernhard Stricker

Redaktor Synapse