Schlagwörter – (S)Teuerung

Nur ein Buchstabe unterscheidet die beiden Wörter, und auch in Wirklichkeit sind sie oft nahe beieinander. Das staatliche Einheitsrezept bezüglich der Kosten im Gesundheitswesen ­lautet denn auch: Teuerung erfordert Steuerung.
Ein Auto muss man dem Strassenverlauf entsprechend steuern. Würde man bei einer leichten Linkskurve heftig nach links einschlagen, käme man genauso von der Strasse ab, wie wenn man einfach geradeaus fahren wollte, und wenn es geradeaus geht, muss man nicht am Lenkrad drehen. Man muss sich immer zuerst verge­wissern, ob eine Richtungsänderung überhaupt nötig ist. Die Frage ist nun: Braucht es eine ­Richtungsänderung bei den Gesundheitskosten?
Unbedingt!, sagen uns Medien und Politik: Die «Strasse» der Gesundheitskosten sei dermassen krumm, dass man unbedingt steuern müsse. Wie sieht es tatsächlich aus? Um 2,6% steigen die Gesundheitskosten jährlich im Durchschnitt, und in der gleichen Grössenordnung steigt auch das Bruttoinlandprodukt; 2022 waren es zufällig sogar genau 2,6%. Die «Strasse» ist also schnurgerade. Da fragt sich der unbescholtene Bürger schon, warum am Steuerrad herum­gerissen werden soll.

Doch, doch, dazu gebe es dringenden Bedarf, man müsse sich nur die Prämien ansehen! Diese steigen ja tatsächlich stark. Da haben wir wirklich eine «Kurve» vor uns und müssten steuern. Die Frage ist nur: Was müsste man steuern?
Die Kosten? Oder vielleicht doch eher die Prämien? – Letzteres würde die heikle Frage aufwerfen: Wer steuert eigentlich die Prämien?
Die Antwort darauf weiss ich nicht. Aber aus dem Begleitbrief einer Krankenkasse zur neuen Jahrespolice erahne ich, dass man seine liebe Not hat, die Prämienerhöhung den Versicherten zu «verkaufen», da die Prämien um weit mehr als um 2,6% steigen.
Der besagte Begleitbrief ist ein grafisch an­sprechend gestaltetes Faltblatt. Schlägt man es auf, findet man nebst gemütvollen Fotos ­zuoberst den Satz: Keine Prämienerhöhung. ­Gemeint sind die Zusatzversicherungen. Die nächste grosse Überschrift lautet: Prämien bleiben unverändert. Bei der Taggeldversicherung nämlich. Dann kommt man zu einer Liste von Vorzügen, die die Versicherten bei dieser Kasse geniessen. Erst wenn man einen weiteren Teil des Faltprospektes öffnet, findet man eine Seite, auf der (so quasi «per exgüsi») erklärt wird, dass die Prämien der Grundversorgung steigen müssen, weil die Gesundheitskosten «stark steigen».
Dort steht weiter, die Prämien der obligatorischen Grundversicherung «entwickelten sich» (sie werden also nicht gesteuert!) «parallel zu den Gesundheitskosten». Diese würden je nach Kanton und den dortigen Leistungen unterschiedlich ausfallen, darum seien auch die Er­höhungen je nach Kanton anders, nämlich ­zwischen 4 und 9%; und nur der Kasse und ­ihren Abfederungsmassnahmen sei es zu verdanken, dass die Prämienerhöhung nicht noch stärker ausfallen würde.
Schlau formuliert. Gekonnt wird die (für die ­Kassen) hässliche Falle des tatsächlich nur moderaten Kostenanstiegs umgangen. Es heisst im Begleitbrief ja nur, die Kosten würden je nach Kanton unterschiedlich steigen. Wer wollte das bestreiten? Solange keine konkreten Zahlen zum Kostenanstieg genannt werden, können die ­Versicherten nicht selber nachrechnen. Sonst ­kämen sie relativ einfach darauf, dass sich die Prämien eben nicht «parallel» zu den Kosten, sondern überproportional dazu «entwickeln».
Aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand (nachdem er sich die einschlägigen Zahlen besorgt hat) der Sache auf die Schliche kommt, hat man auf der letzten Seite des ­Begleitbriefs vorgesorgt. Da steht nämlich, die Sicherheit der Versicherten sei gewährleistet durch «nachhaltige Planung» sowie «finanzielle Reserven». Aha. Also doch Planung. Und wer steuert die Reserven?
Auch darauf weiss ich keine Antwort. Aber ­etwas wissen wir sicher: Das «Auto» auf der «Strasse der Gesundheitskosten» wird massiv über(s)teuert, und es droht im Strassengraben zu landen, wenn es uns nicht gelingt, Gegensteuer geben.

Dr. med. Karin Hirschi-Schiegg

Mitglied der Redaktion