Der Patient im Mittelpunkt?

Schlagwörter wie «patientenzentrierte Medizin» oder auch «individualisierte / personifizierte Medizin» sind seit ungefähr 2012 gross in Mode. Was steckt dahinter? Dass der Mensch bzw. der Patient im Mittelpunkt steht und ganzheitlich wahrgenommen und behandelt wird?

Leider nicht. In der «individualisierten» oder «personifizierten» Medizin wird ein Patient mit seinem aktuellen Leiden ­einer Gruppe zugeordnet (z.B. bezüglich einer genetischen Veranlagung) mit dem Ziel, das Problem möglichst spezifisch behandeln zu können. Es wird vorausgesetzt, dass die optimale Therapie die haargenau passende sei. Dabei wird der Patient aber nicht mehr umfassend wahrgenommen. Dazu gibt es skurrile, aber durchaus ernstgemeinte Ansätze, die fordern, das Beste wäre, wenn der ­Patient vollständig «digitalisiert» würde, dann könnten u.a. mittels künstlicher ­Intelligenz die richtigen Lösungen gefunden werden. Das ist wohl kaum das, was der Durchschnittspatient erwartet, wenn er unsere Praxis betritt.

Ebenso skurril muten Vorstellungen an, die aus der Wirtschaft kommen und eine «strukturierte patientenzentrierte Medizin» anstreben. Dazu fand ich eine Abhandlung, die damit begann, dass der Patient mit einem Problem zum Arzt kam. Unmittelbar nach dieser kurzen Einleitung ging es dann aber nur noch um «Produkte» zur «Problemlösung», die – unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte – in ein «Leistungsversprechen» münden sollten. Sogar «nachhaltig» sollte dieser Ansatz sein. Es gipfelte im Schlusstext: «Aus diesem Dreiklang (Problem, Produkt und Leistungsversprechen) resultiert bei den Patienten und den Kostenträgern eine Vertrauensbeziehung zum Gesundheitsdienstleister. Durch dieses entstandene Vertrauen ­resultiert im besten Fall daraus auch eine zukünftige weitere Empfehlung.» Ich gebe zu: Ganz verstanden habe ich das nicht. Eine «Vertrauensbeziehung» zur Krankenkasse? Der Arzt als «Gesundheitsdienstleister»? Und das soll «patientenzentriert» sein und ein «Dreiklang» obendrein? Für mich klingt es eher nach einer Dissonanz.

Auch wir, die wir im «Gesundheitssystem» meist bei den «Anbietern» sind, finden uns gelegentlich auf der Patientenseite wieder und betreten mit einer konkreten medizinischen Frage die Praxis eines Kollegen. Wir kommen als Mensch herein, suchen bei einem fachlich kompetenten Menschen Hilfe, und verlassen die Praxis wieder mit einer brauchbaren Lösung und der Dankbarkeit, einen Menschen angetroffen zu haben, der uns etwas von seiner kostbaren Zeit und seine aufrichtige Aufmerksamkeit geschenkt hat.

So einfach ist es!

Dr. med. Karin Hirschi-Schiegg

Mitglied der Redaktion Synapse