Systemversagen

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Eigentlich ist es eine demagogische Meister­leistung. In den Sorgenstatistiken liegen die ­Kosten des Gesundheitswesens regelmässig weit vorne, wobei es hier auch stark darauf ankommt, wie man fragt. In den letzten 20 Jahren wurde eine «Kostenexplosion» in den Köpfen unserer Bevölkerung etabliert, obwohl eine solche Explosion nachweislich gar nicht existiert. Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen flacht international und in der Schweiz seit etwa 15 Jahren ab und die KOF erwartet für die nächsten Jahre ein konstantes Verhältnis der Kosten zum BIP.

Die Grafik illustriert klar, wie unterschiedlich die Belastung durch steigende Prämien dargestellt werden kann. Betrachtet man Prozente, scheinen die Prämien zu explodieren, betrachtet man die realen Frankenbeträge, sieht die Situation – zumindest für den Schweizer Durchschnitt – nicht mehr bedrohlich aus. Medien und Politik versorgen uns aber fast ausschliesslich mit der linken, bedrohlichen Grafik.

Teaching session (Simultanübersetzung Englisch -> Rumänisch = Landessprache).

© FMH · Prämien, Kosten und Prozente · Tobias Eichenberger · 16. November 2023

Grafik NZZ, wiederabgedruckt in SchweizÄrzteztg. 2022;103(2122):702-704

Eigentlich ist dem Leitartikel von Carlos Quinto nichts mehr beizufügen. Auf erschreckende Art und Weise wird das totale Versagen unserer ­Gesundheitspolitik aufgezeigt. Einerseits ver­weigert unser Bundesparlament die konsequente Umsetzung der Tabakinitiative und somit den Schutz unserer Jugend vor Tabakwerbung. Den weltweit fast einzigartigen (nur die Dominikanische Republik schneidet hier noch schlechter ab) Einfluss der Tabak-Lobby auf die parlamentarischen Entscheidungen haben wir in der ­Synapse schon wiederholt aufgezeigt. Dies mit noch unabsehbaren gesundheitlichen (und nicht zuletzt auch finanziellen) Folgen. Andererseits sind wir mit einer Unzahl von parlamentarischen Vorstössen, mit immer mehr Bürokratie und ­Regulierungen konfrontiert (ohne Mehrwert für unsere Patientinnen und Patienten), was zu Mehrkosten, zunehmender Frustration beim Personal im Gesundheitswesen und demzufolge zu immer mehr Berufsausstiegen führt, konse­kutiv zu mehr Druck auf das System.

Natürlich brauchen wir den Fokus auf die Kosten, natürlich sind wir gefragt und gefordert, eine moderne, patientenorientierte, vernünftige und kostenbewusste Medizin zu praktizieren. Aber wir sollten immer auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Blick haben. Unsere Kosten steigen vergleichbar mit dem grenznahen Ausland – bei besserer Qualität in der Schweiz.

Wie immer sind wir auch in dieser Nummer ­bestrebt, Ihnen faktenbasierte Statements zur aktuellen (Fehl-)Entwicklung zu liefern. Diesmal legen wir den Fokus auf den absehbar fehlenden ärztlichen Nachwuchs bzw. auf die Strukturen und Mechanismen, die dazu geführt haben.
Wir haben dazu zwei Stimmen der «Jungen» (Assistenzarzt, Medizinstudentin) eingeholt und sie denjenigen von zwei «Alten» (Chefarzt, ­Regierungsrat) gegenübergestellt. Der Gesamteindruck und der Grad der Übereinstimmung überraschen. Lesen Sie selbst!

Wir wünschen Ihnen eine unterhaltsame und hoffentlich aufschlussreiche Lektüre.

Herzlichst

Dr. med. Tobias Eichenberger

Dr. med. Tobias Eichenberger

Mitglied der Redaktion Synapse