Numerus clausus: Unsinniges Nadelöhr?

Wie sinnvoll sind Studienplatzbeschränkungen, wenn Fachkräfte fehlen? Die Diskussion über Numerus clausus und ­Eignungstest ist wenig zielführend, wie der folgende Artikel zeigt. Denn für eine Behebung des Fachkräftemangels gibt es einen wirksameren Hebel: die Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals.

Aktuell fehlt ärztlicher Nachwuchs in den Spitälern und Hausarztpraxen, und damit rücken die universitären Studienplatzbeschränkungen und das Auswahlverfahren mittels Eignungstest ­verstärkt in den politischen Fokus.

Bis zum Stichtag des 15. Februar haben sich gesamtschweizerisch 5648 Interessierte für ein Studium in Humanmedizin (inkl. Chiropraktik) ab Herbstsemester 2024 angemeldet. An den acht Schweizer Universitäten mit medizinischem Studienangebot stehen allerdings nur 2195 Studienplätze zur Verfügung. Für die notwendige Selektion haben sich in der Schweiz zwei Lösungswege etabliert: ein Eignungstest vor dem Studium und eine starke Selektion im ersten ­Studienjahr. Den Eignungstest müssen Studieninteressierte in der Deutschschweiz (inkl. Freiburg) und im Tessin bestehen – schon seit 1998. In Genf, Lausanne und Neuenburg wird die ­notwendige Quote im Laufe des ersten Jahres mittels Prüfungen erreicht.

Der Eignungstest ist politisch keinesfalls sakrosankt

Die Hochschulkonferenz hat sich schon 2016 mit der Frage beschäftigt, ob der Test in dieser Form die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt herausfiltert. Der Schweizerische Wissenschafts- und Innovationsrat kam damals zum Schluss, dass der Eignungstest ein präzises, effektives und kosteneffizientes Selektionsinstrument ist und es keinen Grund gibt, ihn oder die Kriterien für die Studierfähigkeit zu verändern. In der Pandemie, als zwischenzeitlich unklar war, ob die Eignungstests im gewohnten Setting überhaupt durchgeführt werden können, wurden ­übrigens auch ganz andere Selektionsmethoden in Erwägung gezogen. Eher hypothetisch, aber dennoch rechtlich seriös geprüft wurde damals auch ein Losverfahren.

Warum aber wird die Kapazität überhaupt beschränkt? Wie in anderen Gesundheitsbereichen auch brauchen die Auszubildenden Praxisplätze. Vor allem in der klinischen Phase des Studiums sind den Universitäten und den Spitälern als Ausbildungsstätten aber Grenzen gesetzt: infrastrukturelle und betriebliche, personelle und, ja, auch finanzielle. Ein einzelner Studienplatz verursacht den Universitäten und Ausbildungsspitälern ab dem dritten Studienjahr Kosten von rund 150’000 Franken pro Jahr. Von diesem ­Betrag bezahlt der Bund rund einen Drittel. Etwa einen Viertel übernehmen die Herkunftskantone der Studierenden. Die restlichen Betriebskosten und vor allem die Infrastruktur­investitionen finanzieren nach wie vor zur Hauptsache die Standortkantone der Universi­täten und der Universitätsspitäler. Die Univer­sitätskantone stossen dabei an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Im Herbst 2014 wurde aufgrund des allge­meinen Ärztemangels auf nationaler Ebene empfohlen, die Ausbildungskapazitäten an den Schweizer Universitäten zu erhöhen. Der Bund unterstützte in der Periode 2017–2020 einen Ausbau mit 100 Mio. Franken. 30 Mio. Franken davon wurden für den bis dahin bereits geleisteten Ausbau zur Verfügung gestellt. 70 Mio. Franken standen als projektgebundene Beiträge für weitere Ausbauschritte zur Verfügung. Die Universität Basel hat an beiden Ausbauschritten partizipiert. Sie konnte ihre Kapazitäten so im ersten Studienjahr von 2013 bis 2023 von 130 auf 205 Studienplätze ausbauen. Auf Master-Stufe studieren in Basel in Kooperation mit anderen Schweizer Universitäten 230 angehende Ärztinnen und Ärzte.

Kaum Möglichkeiten der Steuerung

Das Problem ist damit nicht gelöst. Denn durch das Zulassungsverfahren lässt sich kaum steuern, ob, bis zu welchem Beschäftigungsgrad und wie lange die angehenden Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf ausüben werden, ob sie sich in medizinischen Fachgebieten spezialisieren, in denen der grösste Bedarf besteht. Der Numerus clausus an den Universitäten ist demnach nicht das einzige und heute vermutlich noch nicht einmal das entscheidende Nadelöhr in der Ausbildung von medizinischem Fachpersonal. Neben gesetzten Grenzen in der klinischen Ausbildung an den Spitälern, die nur gemeinsam und gesamtschweizerisch verschoben werden können, ist die Politik vor allem auch gefordert, die Rahmenbedingungen für die Ausübung des Berufs zu verbessern. Denn die anforderungs- und entbehrungsreichen Arbeitsbedingungen, welche die Studierenden als Unterassistentinnen und -assistenten in der Praxis erfahren, werden als Hauptgrund für den verbreiteten Gedanken an einen Berufswechsel angegeben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die universitäre Studienplatzbeschränkung keinesfalls eine leichtfertige Schikane der Politik darstellt. Sie ergibt sich als eine schiere Notwendigkeit aus den infrastrukturellen, betrieblichen, personellen und finanziellen Gegebenheiten in der klinischen Phase des Studiums. Für eine nachhaltige Lösung des Nachwuchsmangels ist ein gesamtschweizerischer Effort nötig. Und dabei müsste auch über die Arbeitsbedingungen im medizinischen Alltag und neue Formen der medizinischen Versorgung nachgedacht werden.

Dr. Conradin Cramer 

Regierungsrat, Vorsteher des
Erziehungsdepartements
des Kantons Basel-Stadt.